Das Thema ist nicht neu; seit Jahren berichten diverse Medien, dass Social Media Plattformen auf die Psyche schlagen können. Top-Argument für diese These ist, dass uns auf Facebook und Instagram oft das perfekte Leben der anderen unter die Nase gerieben wird. Diese Menschen sind scheinbar schöner, schlanker und erfolgreicher als wir. Auf Dauer macht das traurig, sagen die Experten. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir auch mal andere Faktoren beleuchten, die unserer Gesundheit Schaden zufügen können. Dafür braucht es nicht immer perfekte Bilder, denn wer lesen kann, wird im Internet von allerhand Informationen erschlagen.
Alles ändert sich
Ich weiß nicht, wieso sich alle Experten bloß auf die Bilder konzentrieren, die uns schaden können, wo das geschriebene Wort doch so viel mächtiger ist!
Ich persönlich bin seit 2005, also seit 13 Jahren, in diesem Internet unterwegs und seitdem hat sich einfach alles verändert. Hatten wir damals das Internet, um uns mit Freunden zu verbinden und auf StudiVz witzigen Gruppen beizutreten, ist es heute doch viel mehr die Zentrifuge für Nachrichten aller Art: Echte Nachrichten, Fake-Nachrichten und Satire-Nachrichten, die sich erst im Nachhinein als Witz herausstellen. Und dann gibt es da noch die Firmen und Unternehmen, die Werbehäuser und die Selbstständigen, die uns andauernd etwas verkaufen wollen. So wie die Blogger, YouTuber und Influencer. Das Internet gehört nicht mehr uns, nicht mehr dem Privatmenschen. Wir mussten Platz für die Wirtschaft machen, wie es nun mal über kurz oder lang immer der Fall ist. Aber eins nach dem anderen.
Die Akte Twitter
Vor 7 Jahren bin ich Twitter beigetreten, als Studentin. Und obwohl ich mein Abi in der Tasche und schon ein paar Semester hinter mir hatte, ermöglichten mir die unzähligen klugen Köpfe auf Twitter, besseres Deutsch zu lernen. Meine Timeline bestand damals aus witzigen, intellektuellen, belesenen, intelligenten, cleveren Menschen, die gerne auf 140 Zeichen knackige Dinge schrieben. Allein diese Einschränkung, einen Gedanken auf 140 Zeichen zu reduzieren, hat mir viel gebracht. Plötzlich kam ich zum Punkt, ohne bei Adam und Eva anzufangen.
Diese Privatmenschen haben also nicht nur meine Rechtschreibung und Grammatik verbessert, sondern meine Gedanken bereichert. Tagtäglich las und schrieb ich und liebte dieses Internet für all die wundervollen Köpfe, die ich kennenlernen durfte.
Mittlerweile hat sich auch Twitter verändert, die letzte Bastion ist gefallen.
Aus den klugen Köpfen wurden »I bims«-Anhänger, statt den Intellektuellen las man plötzlich Tweets ohne Punkt und Komma, anstatt sich gegenseitig zu beflügeln, brachte man sich nun falsches Deutsch bei. Tut mir leid für die Jüngeren; ich konnte vom alten Twitter noch profitieren. Von der Verrohung der Sprache abgesehen, hat Twitter stark nachgelassen, seitdem sich allerhand verifizierte Accounts auf dieser Seite rumtreiben. Anders: Jahrelang haben Twitterer darüber gemeckert, dass die Medien nicht »vor Ort« vertreten waren, dass im TV unlustige FB-Posts zitiert wurden, wo »wir« doch das Rad neu erfunden hatten! Long Story short: Man folge unseren Rufen, legte sich verifizierte Accounts an und nahm uns damit den gesamten Spaß.
Die Macht des Wortes
Öffnet man heute Twitter, ist nichts vom alten Charme übrig geblieben. Niemand gibt noch damit an, besonders gut »Mitmenschen umgehen« (@der_handwerk) zu können, niemand erzählt mehr vom gelben Feld: »Raps!« – »Yo Motherfucker ein gelbes Feld!« (@olle_Meia)
Stattdessen ist die Timeline mittlerweile voller kleiner Äffchen, die sich gegenseitig mit Kot bewerfen. Wie im Zoo, aber interaktiv von der heimischen Couch aus. Schreibt man heute beispielsweise, wie gut man »Mitmenschen umgehen« kann, stürzen sich gleich fünf gesichtslose Accounts auf einen, und werfen mangelnde soziale Kompetenz vor. Twitter gleicht mittlerweile einem Irrenhaus, dem die Tabletten ausgegangen sind.
Natürlich dürfen wir uns nicht wundern, denn mit den Medien kamen auch unangenehme Headlines auf Twitter (wie auch auf FB), Clickbaiting wurde betrieben und die Menschen wurden sauer. Plötzlich war der Journalismus so transparent wie nie zuvor. Wer Google bedienen kann, und das kann heute jedes Kind, kann schnell nachprüfen, wo der Journalist nicht gut recherchiert hat und ob er Falschmeldungen sogar absichtlich in die Welt streuen wollte.
Wir öffnen also im Jahre 2018 Twitter und was wir lesen, sind lauter Sophie Passmanns, die anhand von Screenshots oder Zitaten wütend wüten, und das bei mehr nur als einem Thema am Tag. Innerhalb weniger Minuten wird man von Netzfeministinnen angebrüllt, während der alte weiße Mann random Vergewaltigungen wünscht, während ein besorgter Bürger wahllos jeden Account beleidigt, der ein Regenbogen-Emoji im Namen hat. Dazwischen hagelt es Retweets von Trump oder anderen Amis, die für oder gegen Trump sind, und natürlich Polizeimeldungen, Aufrufe für Spendensammlungen für die OP vom krebskranken Hund und noch mehr unzusammenhängende, wütende Tweets von anderen Privatpersonen.
Und nun frage ich euch, liebe Experten: Schlägt uns all das nicht mehr auf die Psyche als irgendwelche Bildchen, die zeigen, wie schön das Leben sein kann?
Bildsprache vs. Textsprache
Bilder machen natürlich viel mit uns, gerade mit den Jüngeren unter uns; behaupte ich mal ganz frech. Klar, die Models (und auch schon längst Privatmenschen) sind gephotoshopt, Filter werden übereinandergelegt, der Himmel bekommt plötzlich einen grünlichen Stich – eine Parallelwelt wird konstruiert. Doch das wissen wir schon längst. Zum Glück gibt es da auch genügend neue Trends, die sich für mehr Realität auf IG einsetzen.
Aber was machen wir mit den ganzen Wörtern? Was mit dem N-Wort, das immer noch reproduziert wird, was mit den Nazis, die man nicht beim Namen nennen darf und was mit den ganzen Nachrichten wie »Freu dich auf deine Vergewaltigung, bei so viel Güte kann es nicht mehr lange dauern :)«?
Liebe Experten, geht uns das nicht viel mehr an die Substanz? Zumal diese Worte teilweise von Unbekannt an einen persönlich gerichtet werden? Es ist ja nicht ein Tweet, der vor Vergewaltigung warnt, sondern ein Kommentar unter deinem Tweet, in dem es z. B. um Bohnensuppe geht. Denn ja: Mittlerweile muss man kein Arsch sein, um online angegriffen zu werden. Es reicht, wenn du zum falschen Zeitpunkt schlicht online bist und atmest.
Von allem zu viel
Ich bin tagtäglich online, arbeite ich schließlich auf Social-Media-Plattformen. Ob Instagram, Twitter oder Facebook: Man kann der schieren Masse an Informationen nicht entkommen. Es ist sogar richtig stressig, da eine Halbinformation die nächste jagt. Und mit Halbinformation meine ich zitierte Links. Sagen wir mal, ein Journalist möchte einen Link zu seinem Artikel teilen. Der Titel des Artikels ist: »Starke Konflikte im Nahen Osten und wir sind auch betroffen!« und weil man einen Artikel nicht einfach so veröffentlicht, schreibt er noch ein paar Zeilen dazu: »Starke Konflikte im Nahen Osten und wir sind auch betroffen!« Das ist kein Fehler meinerseits, du hast richtig gelesen: Die Information wird einfach gedoppelt. Mehrwert ist gleich null, aber die Info, dass wir bald Krieg haben werden, setzt sich unterbewusst irgendwo ab. Und natürlich ist nebst diesem Journalisten auch Kollege B auf genau denselben Geniestreich gekommen: Er doppelt einfach die Überschrift und Macht sich wieder aus dem Staub. Lässt uns mit dieser Halbinformation zurück, sein Job ist erledigt, nicht sein Problem, was sein schlechter Social-Media-Umgang mit uns macht. Da wünschte ich mir mehr Verantwortung. Ich bin z. B. keine Journalistin und gehe mit weniger heiklen Themen viel vorsichtiger um. Vielleicht weil ich auch Nutzerin dieser Inhalte bin, nicht bloß Verteiler.
Auf lange Sicht würde ich mir wünschen, dass die Menschen etwas bedachter ausgewählt werden, die in diesem Internet Informationen verbreiten dürfen. Denn unsere Worte erreichen täglich mehrere hundert und tausend Menschen, das geschriebene Wort ist heftig. Wie konnte man das nur jahrelang außer Acht lassen?
Was du tun kannst
Traurig aber wahr: In den meisten Fällen kann man sich nur zurückziehen und dem Internet fern blieben, bzw. den sozialen Plattformen, die täglich asozialer werden.
Das ist keine Lösung für Menschen wie mich, die hier arbeiten, aber für uns gibt es auch Möglichkeiten. Ich habe in den letzten Wochen meine privaten Accounts seltener bespielt, stattdessen waren Twitter und Facebook in meinen Kundenaccounts eingeloggt. Die Timelines sind entsprechend eintöniger, niemand fordert den Kopf eines anderen auf dem Silbertablett und es wird keine Sau durchs Dorf getrieben. Die Werbung kann man wunderbar überscrollen und auch sonst konzentriert man sich nur auf seine Arbeit. Social-Media mit Scheuklappen, sozusagen.
»Aber man kann ja selbst entscheiden, welchen Inhalten man folgt« – richtig. Auf Twitter war meine erste Lösung, bei geliebten Accounts die Retweets auszuschalten. Wenn jemand nämlich meint, die nächsten zwei Wochen alles zu retweeten, was sich mit den schlechten Bedingungen in der Pflege beschäftigt, dann muss ich da raus. Weil es zwar toll ist, wenn Menschen sich einem Thema verschreiben, aber wie viele von diesen Menschen habe ich in der TL? Oh, ganz viele. Weil es tolle Menschen sind.
Aber für mich als Außenstehende ist es einfach zu viel. Ich muss nicht wissen, wie das Pflegepersonal in Irland Umstand A ansieht und wie das in Deutschland ausgeführt wird. Ich will auch nicht jeden Tag lesen müssen, was Jens Spahn sich als neusten Gag ausgedacht hat, um dem gesamten Gesundheitswesen an den Karren zu pinkeln. Und auch Söder und Weidel und Seehofer ziehen mich zunehmend runter. Ich wurde nicht geboren, um mir tagtäglich anzuhören, wie Politiker sich selbst profilieren und teilweise regelrecht Propaganda wie in den 30ern betreiben.
Nicht falsch verstehen: Ich verschließe keineswegs die Augen vor den aktuellen Begebenheiten, ich weiß ganz genau, was hierzulande, in Europa und weltweit vor sich geht. Aber dafür reicht es, sich ein mal täglich die Tagesschau anzuhören.
Denn 24/7 von den Problemen in der Welt beschallt zu werden, gibt einem nicht mehr Informationen, macht einen aber umso mürber.
Vor allem die Kommunikation miteinander geht allmählich kaputt. Die Menschen haben verlernt, miteinander zu reden, sich auszutauschen und zu diskutieren, ohne gleich ausfallend zu werden. Wir haben zwar alle im Kindergarten gelernt, dass der Lauteste nicht automatisch im Recht ist, aber im Internet scheint das alles nicht mehr zu gelten.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass jeder Einzelne von uns bedachter mit seinen Worten umgeht. Denn das Internet war einst ein toller Ort, der Menschen zusammengebracht hat, der mittlerweile aber dazu genutzt wird, so viele Menschen wie nur möglich voneinander zu entfernen.
Wer Tipps hat, wie ich und andere diese Dauerbeschallung umgehen und vielleicht sogar etwas Leichtigkeit und Freude wiederfinden können, schreibt bitte lieb in die Kommentare.
Geekfried says
Danke!
Du sprichst mir, besonders mit dem letzten Drittel des Artikels, sehr aus der Seele!
Endlich bringt es mal jemand auf den Punkt, ich dachte schon, ich sei mit dem Problem alleine.
Was ich gegen dieses Problem tue gefällt mir eigentlich selbst nicht, aber ich sehe tatsächlich keine andere Wahl. Ich Nutze auf dem iPhone Tweetbot (nahezu ausschließlich). Dort hat man sehr schöne Möglichkeiten die Timeline zu Filtern. Ich Filtere beispielsweise mittels Regulärer Ausdrücke (https://de.wikipedia.org/wiki/Regul%C3%A4rer_Ausdruck) alles raus was irgendwie mit Fußball zutun hat. Dazu kommen noch etliche Hashtags, aber auch Wörter die ich radikal raus filtere. Darunter zum Beispiel sehr viele Namen von Politikern oder Parteien wie eben “Trump”, “Söder” oder “Seehofer”. Die Muteliste wird halt munter weiter ergänzt wenn wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Das schöne bei Tweetbot: Man kann die einzelnen Wörter oder Hashtags auch nur für eine gewisse Zeit muten. Oft nehme ich 30 Tage. Dann ist es mit der sprichwörtlichen Sau meist dann auch vorbei und der Filter kann raus.
Wie gesagt, es ist nicht schön, aber so wird Twitter für mich tatsächlich wieder so erträglich, dass ich zumindest keinen Gedanken mehr an eine Löschung des Kontos habe. Und nur fürs Protokoll: Auf Instagram habe ich diese Probleme tatsächlich nicht. Die neue Bildschirmzeit funktion, die mit iOS 12 einzug gehalten hat, zeigt sehr deutlich wie viel mehr Zeit ich auf Instagram, statt wie früher auf Twitter verbringe.